Infobrief Ausgabe 22 (Mai 2006)

Globalisierung, Fußball und Sexindustrie
von Maria Mies

Was hat Fußball mit neoliberaler Globalisierung zu tun?

Alle Welt redet von der Fußball WM. Die Fußballclubs sowieso, die Medien, die PolitikerInnen, sogar die Bischöfe und Pastoren. Die Fußball WM 2006 in Deutschland scheint die wichtigste Sache der Welt zu sein. Das liegt nun, wie alle Welt auch weiß, nicht nur an der Sportbegeisterung der Menschen bzw. der Männer, sondern nicht zuletzt an den Geschäft en, die von der WM erwartet werden. Denn die Fußballclubs gehören heute zu den Global Players, einige sind sogar Aktiengesellschaften, die Milliarden umsetzen und weltweit agieren. Viele der Spieler sind mehrfache Millionäre geworden – „Jungmillionäre“.

Die Fußballer werden, wie andere Waren, global gehandelt, bzw. gekauft. Zwar schließen sie Verträge mit den einkaufenden Clubs ab, man könnte sie also auch als Ich-AGs bezeichnen, die eine Dienstleistung verkaufen. Doch es bleibt die Frage, ob es nicht auch hier um Menschenhandel geht. Was ist der Unterschied zwischen einer gekauften Prostituierten und einem gekauften Fußballer?

Doch die Profitchancen des Fußballs beschränken sich nicht auf die Gewinne der Clubs und der einzelnen Spieler. Sie kommen durch Werbeeinnahmen aller Art zustande: Logos und Firmennamen auf den Trikots, in den Fußballstadien, Mobilisierung durch die Fans und ihre Schals und ihre Slogans. Devotionalien wie Fußbälle, Fußballschuhe, Trikots, die von den Stars signiert werden. Dann sind da die ganzen Einnahmen durch die Übertragungsrechte der Medien, die einen regelrechten Konkurrenzkampf um Hörer und Einschaltquoten veranstalten.

Die Städte, wo die WM-Spiele ausgetragen werden, investieren Millionen, um ihre Fußballstadien zu modernisieren und die Straßen zu reparieren. Die selben Städte, die angeblich kein Geld haben, um ihre Sozialwohnungen zu erhalten. Doch für Fußball ist immer Geld da. Denn Fußball soll Geld einbringen, viel Geld. Vor allem für die Geschäftswelt.

Zu diesen Investitionen der Städte für die WM gehört auch, dass Einrichtungen für die Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse der Spieler geschaffen oder erneuert werden. Damit sind wir bei einer weiteren Dimension der Globalisierung und des Fußballs:

Was haben Globalisierung und Fußball mit der Sex-Industrie zu tun?

Sehen wir uns zunächst die Situation in Köln an, wo im Juni die WM ausgetragen werden wird. Im Kölner STADTANZEIGER vom 9.3.2006 ist zu lesen: „Aus der aktuellen Kriminalstatistik für das Jahr 2005 geht hervor, dass die Anzahl der Menschenhandelsfälle im Vergleich zum Jahr 2004 um 41,38 % gestiegen ist. Verzeichnete die Kölner Polizei im vorletzten Jahr noch 29 Fälle von Menschenhandel, waren es ein Jahr später bereits 41.“

Der zuständige Kommissariatsleiter, Günther Rammel, sieht die Gründe für diesen Anstieg einmal darin, dass vermehrt Kontrollen in Bordellen durchgeführt wurden, aber auch in „Großereignissen, wie des Confed Cups“. In allen Fällen spielt Gewalt eine Rolle, um die gekauften Frauen auf den Strich zu schicken. Rüdiger Thust vom Kölner Bezirksverband des BDK (Bund Deutscher Kriminalbeamter) befürchtet zur bevorstehenden Fußballweltmeisterschaft in Deutschland einen weiteren Anstieg der Zwangsprostitution. „Während eines Events wie der WM steigt die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen. Deswegen ist zu erwarten, dass damit auch der Menschenhandel zunehmen wird. Es wäre illusorisch anzunehmen, dass eine Großstadt wie Köln von dieser Entwicklung verschont bleiben wird“.

In diesem kurzen Polizeibericht sind schon sämtliche Elemente der neoliberalen Globalisierung, des „Großereignisses“ Fußball WM und Sex-Industrie genannt:

Ein Event, schafft einen „Bedarf“, einen neuen Markt für „sexuelle Dienstleistungen“, der durch globalen Menschenhandel, sprich Frauenhandel befriedigt wird. Menschenhandel ist zwar einerseits verboten, dieser neue Markt anlässlich des Events WM aber andererseits sehr erwünscht.

Der Polizei und auch der Stadt Köln ist dieser Widerspruch durchaus bewusst. Man will das Sex-Geschäft, aber nicht die illegalen Frauen, die meist gewaltsam aus aller Herren Länder hierher geschleppt werden. Vor allem will man sie nach dem „Event“ nicht mehr hier haben. Deshalb hat die Stadt Köln bereits jetzt schon an der Geestmünder Straße sog. „Verrichtungsboxen“ aufgestellt, in denen die Zwangsprostituierten ihre „Dienste“ schnell verrichten und Fußballer und Fans ihre sexuellen Bedürfnisse schnell „befriedigen“ sollen.

Eine menschliche Beziehung darf zwischen „Käufer“ und der „Gekauften“ auf gar keinen Fall entstehen, denn nach dem „Event“ sollen die meist illegalen Frauen wieder abgeschoben werden. Die Behörden nennen sie „Schüblinge“.

Die Fußball WM ist nur ein Beispiel für das quasi notwendige Zusammenspiel zwischen organisiertem Verbrechen und neoliberalen, globalen „legalen“ Geschäften. Fragen wir aber jetzt grundsätzlicher:

1. Warum kommen Frauen heute zunehmend in die Lage, dass sie Opfer von Menschenhändlern werden, vor allem Frauen aus Osteuropa, der Ukraine, Moldawien, Russland, Polen, aber auch Frauen aus Asien, Lateinamerika und Afrika? (s. Artikel von Paula Keller)

2. Wieso entsteht durch die Globalisierung ein neuer Markt, eine neue „Nachfrage“ nach sexuellen „Dienstleistungen“?

3. Ist es richtig von einer neuen, globalen Sex-Industrie zu reden? Welche Rolle spielt dabei der Staat?

4. Welche Rolle spielen Großereignisse, die „Events“ bei der Ankurbelung des globalen Sex-Marktes als Wachstumsindustrie?

1. Angebot

Den meisten Herkunftsländern der Prostituierten haben die Vertreter des Neoliberalismus: Weltbank, IWF und WTO Wirtschaftswachstum, Arbeitsplätze, Wohlstand,mehr Demokratie und Reichtum für alle versprochen, wenn die Regierungen nur die erforderlichen neoliberalen Reformen durchführen würden. In der Realität hat sich diese neoliberale Medizin jedoch als tödlich erwiesen. Zwar haben einige von dem Rezept: Globalisieren, Liberalisieren, Deregulieren und Privatisieren profitiert. Das sind die Globalisierungsgewinner. Die Mehrzahl der Menschen hat jedoch bei diesem Prozess häufig ihre Lebensgrundlage verloren, ihre kleine Landwirtschaft, ihren Handwerksbetrieb, das kleine Geschäft und mehr Menschen als je zuvor wurden arbeitslos und mussten auf der Suche nach Arbeit in die schon übervölkerten Städte ziehen, wo sie häufig in den Slums landeten. Es wird inzwischen von UNO-Organisationen und ernstzunehmenden Wissenschaftlern wie z.B. Prof. Stiglitz (1) nachgewiesen, dass die Kluft zwischen diesen Globalisierungsverlieren und den Globalisierungsgewinnern noch nie so breit war wie heute. Das ist auch im Armuts-Reichtumsbericht Deutschlands nachzulesen.

Wie zu erwarten, gehören die Frauen in diesen Ländern, nicht nur in der „Dritten Welt“ sondern auch in Osteuropa in der Mehrzahl zu den Globalisierungsverliererinnen. Ihnen werden zwar manchmal Jobs in den neu errichteten Freien Produktions-Zonen angeboten, wo sie dann für Löhne arbeiten müssen, die nicht einmal existenzsichernd sind. Auch die Ehe ist für sie meist kein Versorgungsinstitut mehr. Denn entweder sind die Männer selbst arbeitslos, oder die Ehen halten nicht mehr lange. Viele der Frauen, die den modernen Menschenhändlern in Osteuropa zum Opfer fallen und schließlich in der Zwangsprostitution landen, wollen den hoffnungslosen Verhältnissen in ihren Ländern entkommen und im „goldenen Westen“, „in Europa“, in Deutschland in „Massagesalons“ oder ähnlichen Einrichtungen mehr Geld verdienen als zuhause. Dass sie dabei tatsächlich zu modernen Sklavinnen werden würden, hatten sie nicht erwartet.

Auf jeden Fall schafft die Situation dieser Länder, in die sie nach der neoliberalen Wende geraten sind, ein quasi unerschöpfliches Angebot an jungen, hübschen Frauen und auch Kindern, die mit verbrecherischen Mitteln in den Menschenhandel und in die Prostitution gelockt werden.

Ihre Zahl beträgt nach den Angaben der UN jährlich 4 Millionen Individuen, vor allem Frauen und Kinder. (Bericht des Hearings vor dem EU-Parlament S. 6)

2. Nachfrage

Zum globalisierten Markt gehört aber nicht nur ein billiges Angebot, sondern auch die entsprechende Nachfrage, die Kunden, die Käufer. Wo kommen diese Käufer heute her, um diese neue Sexindustrie nicht nur zu erhalten, sondern zu einem der lukrativsten Wachstumszweige der Wirtschaft zu machen? In dem Bericht über ein Hearing, das vor dem Europa Parlament am 6. Januar 2004 vom Committee on Women’s Rights and Opportunities organisiert wurde, wird der jährliche Umsatz des illegalen sexuellen Sklavenhandels auf 5000 bis 7000 Milliarden US Dollars geschätzt. Das ist mehr als alle Militärbudgets der Welt insgesamt pro Jahr umsetzen, nämlich 5000 Milliarden US-$. (2)

3. Globalisierung und Rolle des Staates

Die AutorInnen dieses Berichts stellen fest, dass dieses enorme Wachstum der Sexindustrie eindeutig ein Resultat der Gobalisierung ist. „Globalisierung der Wirtschaft bedeutet auch die Globalisierung des Sex Sklavenhandels und der Sex Industrie“.

Doch wie kam es auf der Seite der Käufer, der Kunden zu diesem wachsenden Sexmarkt? Diese ungeheuren Summen können nicht nur von den eigentlichen Profiteuren der Globalisierung, den Geschäftsmännern und Managern zusammengebracht werden. Sie könnten auch nie durch die traditionelle Prostitution à la Irma La Douce erwirtschaftet werden. Der „Konsum“ „sexueller Dienstleistungen“, sprich versklavter Frauen, musste zu einem Massenphänomen werden.

Wie geschah das?

Sehen wir uns an, was „die Wirtschaft“ heute dem Mann auf der Strasse, Otto Normalverbraucher anbietet. Nehmen wir das Beispiel eines Mannes in einer Software-Firma, eines „Global Players“, die Programme für Kinos produziert. Sie hat Kunden mit Teilfirmen in Osteuropa (Ungarn, Tschechien, Polen), aber auch in Indien und verschiedenen anderen Ländern. Der Mann ist 40 Jahre, unverheiratet, möchte gerne heiraten, eine Familie und Kinder haben. Doch seine Firma verlangt von ihm Flexibilität und Bereitschaft, überall hin zu fahren, um die Programme einzurichten. Seine Arbeitszeit beträgt täglich 10 – 12 Stunden. Auch am Wochenende muss er sich bereit halten. Wenn Probleme bei einem der Kunden im Ausland anfallen, muss er versuchen, sie per Internet und e-Mail zu lösen. Er hatte schon mehrere Beziehungen zu Frauen, aber sein zerstückelter Orts- und Zeitplan, hat nie zu einer längeren und festen Beziehung geführt, die schließlich die Grundlage für eine Familie werden könnte. Man nennt solche Beziehungen heute auch euphemistisch Lebensphasenbeziehungen. Doch selbst dafür gibt es keine Zeit. Die Flexi-Arbeiter, die dauernd durch das globalisierte Kapital in der Welt herumgejagt werden, können sich am Ende so etwas wie eine Familie nicht mehr leisten. Nicht, weil sie zu wenig verdienen, sondern weil sie keine Zeit mehr für menschliche Beziehungen haben. Was für die Männer gilt, gilt auch zunehmend für die Frauen, die berufstätig sein wollen.

Wenn sich die Deutschen heutzutage darüber aufregen, dass die deutschen Frauen nicht mehr genug Kinder in die Welt setzen, dann wird das dem Egoismus der Frauen zugeschrieben und meist nur als Geld-Problem gesehen – was es ohne Zweifel auch ist. Aber was ist mit der Zeit? Wenn Vater, oder Mutter nie zu Hause sind? Wozu dann Kinder? Da bleibt am Ende zur Befriedigung der elementaren sexuellen Bedürfnisse nur die Prostitution. Die ist so global und so flexibel wie es der neoliberale Kapitalismus erwartet.

Zum Wachstum der Sex-Industrie leistet auch der Staat seinen Beitrag, gewissermaßen als allgemeiner Zuhälter, besonders in der EU. Im oben erwähnten Bericht an das EU Parlament ist zu lesen: „In seinen Empfehlungen fordert der Bericht ein Verbot, die Sex-Unternehmen bei der Börse der europäischen Märkte zu notieren.“ Es sollten vielmehr Studien in Auftrag gegeben werden, die die Anonymität der Käufer, der Männer aufheben. Im Bericht werden die europäischen Mitgliedsländer beschuldigt, „dass sie vor der Sex-Industrie kapituliert haben. Anstatt die sexuelle Ausbeutung zu bekämpfen, haben einige Mitgliedsländer der EU die bestehende Situation akzeptiert und haben durch die Legalisierung und Regulierung der Prostitution dazu beigetragen, das, was vorher ein krimineller Akt war, zu einem legalen ökonomischen Sektor zu machen. So sind diese Staaten ein Teil dieser Sex Industrie geworden, der Staat noch ein weiterer Profiteur des Sex Marktes“.

Im Bericht werden vor allem Holland aber auch Deutschland genannt, die die Gesetze zur Eindämmung und Kontrolle der Prostitution gut neoliberal dereguliert bzw. liberalisiert haben. Prostitution wurde legalisiert und zur normalen Arbeit erklärt und Prostituierte wurden zu Sex-Arbeiterinnen.

Janice Raymond, die Gründerin von CATW, der Coalition Against Trafficking In Women, erklärte während des Hearings: „Die Sexindustrie blüht auf durch die Umdefinition von sexueller Ausbeutung zu Sex, Erotica, Erwachsenen-Videos, sexuellen Dienstleistungen, von Zuhältern zu legitimen Geschäftsleuten und Bordellen zu Gentlemen’s Clubs.

Besonders in Ländern wie Holland und Deutschland, hat die Legalisierung/Dekriminalisierung der Sexindustrie zu einem enormen Anwachsen der Normalisierung der sexuellen Ausbeutung geführt. In diesen Ländern wurde die Prostitution zu einem legalen Öffentlichen Gut, aus dem die Regierung enorme Einkünfte bezieht.“

Janice Raymond kritisierte auch die EU, weil sie schon sehr früh einen Unterschied gemacht hat zwischen Frauenhandel und Prostitution, und weil sie bei allen EU- Foren über Frauenhandel den Begriff Prostitution peinlich vermeidet. (Bericht vor dem EU-Parlament)

Natürlich haben auch verschiedene Prostituiertenverbände lange für eine Legalisierung ihres Berufes gekämpft. Sie hofften so, der Gewalt und Ausbeutung durch die Zuhälter und die Polizei ein Ende zu bereiten und quasi selbständige Unternehmerinnen zu werden oder zumindest die Rechte eines regulären Arbeiters zu haben. Die Coalition Against Trafficking In Women (CATW) (3) kommt jedoch in ihrem Jahresbericht von 2006 zu dem Schluss, dass diese liberale Gesetzgebung in der EU weder den Frauenhandel noch die Gewalt gegen Frauen und Kinder in der Sexindustrie eingeschränkt hat. Im Gegenteil. Sie sei vielmehr wie ein Freibrief für Frauenhandel und habe vor allem zum Wachstum der Sexindustrie beigetragen. Die Bezeichnung Sex-Arbeiterin oder Sex-Worker hat, wie die Prostituierten aus Hong Kong berichten, auch ihnen keineswegs gegen die Gewalt der Polizei geholfen oder, wenn sie Migrantinnen sind, einen legalen Aufenthaltsstatus in Hong Kong verschafft. Sie können als Illegale jederzeit abgeschoben werden. Und die meisten Sex Workers in Hongkong sind Migrantinnen aus China oder Südostasien. (4)

Das Wachstum der neuen globalen Sex-Industrie beschränkt sich jedoch nicht auf die Prostituierten selbst und auf Menschenhandel. Zu dieser Industrie gehört der ganze Pornomarkt in den Printmedien, im Videomarkt, vor allem aber im Internet. Das Internet ist DER Motor der globalen Sexindustrie. Der Einfluss der Pornographie ist auch bereits in der Werbung und in den normalen Fernsehprogrammen festzustellen. Es ist wie mit dem Krieg, der inzwischen zum Normalfall geworden ist. So auch mit Pornographie und Sexindustrie.

4. Mega-Events

Zurück zur Fußball- WM: Die Sex-Industrie, und der Frauenhandel werden heute maßgeblich gefördert durch die Veranstaltung von Großereignissen, „Mega-Events“, zu denen riesige Massen von Menschen, vor allem Männer anreisen. Da die Wirtschaft und der Konsum sonst nicht wachsen, sollen diese Events der Wirtschaft einen Wachstumsschub geben, so die Erwartung. Gleichgültig, ob das Event, wie die Fußball WM oder ein Musik-Festival, lediglich Unterhaltungszwecken dient, oder ob es da um wichtige ökonomische, politische oder auch ökologische Fragen geht, immer geschieht eine wahre Invasion von Prostituierten, die die sexuellen Bedürfnisse der angereisten Männer befriedigen sollen. Das Gleiche gilt für die großen Treffen der Weltbank des IWF und der G7. Sex gehört heute auch zu vielen Treffen von Managern und Firmenchefs, aber auch von Chefs der Gewerkschaften. Selbst die routinemäßigen Konferenzen der WTO gelten als Event, zu denen Prostituierte anreisen.

Interessant ist, was die Frauen berichten, von denen viele im Dezember 2005 zu der letzten WTO Konferenz nach Hong Kong angereist waren. In Hong Kong existiert seit 10 Jahren eine Prostituierten-Organisation, Zi Teng, die für die Rechte der Frauen im Sex Geschäft als normale Arbeiterinnen kämpft. Prostitution als solche ist in Hong Kong nicht strafbar. Die Frauen in diesem Geschäft werden als „Sex Workers“ anerkannt. Dennoch beklagen sie sich in ihrem Rundbrief Zi Teng vom Januar 2006 bitter darüber, was ihnen im Rahmen der WTO Konferenz im Dezember widerfahren ist. Sie hatten ganz bewusst an den Demonstationen gegen die WTO teilgenommen. Denn sie hatten eine klare Analyse der Verarmungsprozesse, die durch die neoliberale Globalisierung ausgelöst werden. Durch sie verlieren die Bauern ihre Subsistenzbasis und die Töchter der Bauern landen häufig in der Prostitution. Weil sie sich dieses Hintergrundes bewusst waren, schlossen sie sich den Demos der Kleinbauern und Armen an. Mit roten Schals demonstrierten sie mit gegen die WTO. Doch die Polizei respektierte sie nicht als Bürgerinnen, die ihre Rechte ausüben, sondern verhaftete viele. Unter dem Vorwand der ungesetzlichen Zusammenrottung wurden Frauen aus Korea, Taiwan, China, Kambodia und Japan verhaftet und geprügelt.

Die Autorinnen von Zi Teng weisen auf den Widerspruch hin, dass die WTO einerseits Handelsfreiheit auch und vor allem für Dienstleistungen fordert. Dass aber diejenigen, die solche Dienstleistungen anbieten, dann verfolgt, diskriminiert, kriminalisiert und nicht selten des Landes verwiesen werden, vor allem die Migrantinnen. (5) Ein Widerspruch, der bei der deutschen Fußball WM auch zu beobachten sein wird. Sexualdienstleistende sind willkommen, wenn sie die Geschäfte fördern, nicht aber, wenn sie als Menschen mit gleichen Bürgerrechten behandelt werden wollen. Dann nützt ihnen auch die neue Bezeichnung „Sex Workers“ nichts. Sie wird auch nichts daran ändern, dass krimineller Frauenhandel und Zwangsprostitution während der WM einen wahren Aufschwung erleben werden.

Was tun?

Viele Menschen und Organisationen sind besorgt über die Menschenrechtsverletzungen, die mit dieser neuen Welle des Frauenhandels einhergehen werden. Der Deutsche Frauenrat hat eine Kampagne gestartet: ABPFIFF, die von 10 weiteren Frauen- und Menschenrechtsorganisationen und vom Familienministerium unterstützt wird. Diese Kampagne hat einen Katalog politischer Forderungen veröffentlicht, die vor allem die Menschenrechte von Zwangsprostituierten und Zwangsmigrantinnen schützen sollen.

Die Kampagne macht einen klaren Unterschied zwischen „selbstbestimmten Prostituierten“ und Zwangsprostituierten. In der Erklärung der Kampagne heißt es: „Die bestehenden Rechte für Prostituierte müssen weiter ausgebaut werden. Sie müssen zu verbesserten Arbeitsbedingungen führen, die Selbstbestimmung der Prostituierten fördern und ihre gesellschaftliche Stigmatisierung vermeiden.“

Der Hauptakzent der politischen Forderungen liegt auf der Bekämpfung der Zwangsprostitution und des Frauenhandels. Mit Recht, möchte man meinen. Es fehlt aber ein Hinweis auf die politisch-ökonomischen Bedingungen, die die neoliberale Globalisierung erst geschaffen hat, durch die viele Frauen, nicht nur aus dem Ausland, sondern auch in Deutschland in die Prostitution getrieben werden. Der deutsche Frauenrat scheint auch hinter der Argumentation zu stehen, dass die Legalisierung der Prostitution die Menschenrechtsprobleme der Frauen in der Sexindustrie lösen wird. Wir haben jedoch schon am Beispiel der Frauen von Hong Kong gesehen, dass dies nicht der Fall ist.

Hier möchte ich mich eher den Argumenten der Coalition Against Trafficking in Women (CATW) anschließen. CATW weist in ihrem Bericht von 2005 auf Schweden hin, das durch eine ganz andere Gesetzgebung als die der Liberalisierung der Prostitution zu viel besseren Ergebnissen gelangt ist, sowohl was Frauenhandel betrifft als auch die Gewalt in der Prostitution. Schweden hat nach diesem Bericht ein paar grundlegende Gesetze erlassen, die sowohl Prostitution als auch Frauenhandel als Akte der Gewalt definieren und die Täter, die Frauenhändler und auch die Zuhälter entsprechend streng bestrafen. Während in Holland, die Sexindustrie nach der Liberalisierung der Prostitution um 25% gestiegen ist, ist diese Industrie in Schweden um 50% zurückgegangen. (vgl. CATW-Bericht, S. 2 ) Für Frauenhändler ist Schweden kein attraktiver Markt mehr.

Vor allem aber kommt es m.E. darauf an, dass wir die Verhältnisse bekämpfen, die Frauen in die Prostitution treiben, zum Verkauf ihres Körpers als Ware, als Sache, ohne Liebe. Zwar mag die Bezeichnung „Sex-Arbeiterin“ dem globalen Kapital gerade passen, weil sie die totale Entfremdung der ArbeiterInnen ausdrückt und im neoliberalen Kontext die Überschreitung aller Grenzen erlaubt. Eine Befreiung zur Selbstbestimmung der Frauen kann sie nicht sein.

Anmerkungen und Quellen:

1) Josef Stiglitz, 2002: Globalization and ist Discontents, Allan Lane, The Penguin Press New York

2) Bericht über das Hearing über die Sexindustrie in der EU vor dem Europäischen Parlament , 9.Januar 2004

3) Bericht vor dem EU Parlament S.10

4) COALITION REPORT 2005: Coalition Against Trafficking in Women, Contact: Coalition Against Trafficking in Women, P.O:Box 9338, N.Amherst MA 010559 USA.

5) ZI TENG, Hong Kong, Januar 2006, Nummer 16