Infobrief Ausgabe 22 (Mai 2006)

Editorial: Krieg und Spiele

Vielleicht sind manche etwas erstaunt über den Titel dieses Infobriefes. Im alten Rom hieß es doch: „Brot und Spiele“. Den Menschen, die zu wenig Brot hatten, wurden „Spiele“ offeriert, Tierhetzen oder Gladiatorenkämpfe, bei denen Abertausende starben. Nebenbei wurde auch Brot in die Menge geworfen, denn so war das Volk fürs Erste zufriedengestellt – mit Brot und grausamen, blutigen „Spielen“. Dass wir bei den damaligen Verhältnissen von Krieg sprechen, leuchtet ein. Aber heute? Wieso bezeichnen wir die diesjährigen Weltfußballspiele als „Krieg“?

Nach Betrachtung aller ökonomischen, sozialen, politischen und ethisch-kulturellen Facetten der diesjährigen Fußball-WM halten wir den Begriff „Krieg“ für angemessen. Nicht nur, weil der holländische Fußballtrainer Rinus Michels gesagt haben soll: „Fußball ist Krieg“. Sondern weil die Fußball-WM dazu dient, die Aufmerksamkeit der Menschen von der tatsächlichen Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen durch den globalen „Freien Markt“ abzulenken, zum Beispiel vom Verlust ihrer Wohnungen als Folge von Hartz IV (Ellen Diederich). Dies nenne ich (Maria Mies) den tatsächlichen „Krieg nach innen“ (1). Dabei sollen die Aggressionen der Globalisierungsopfer auf Scheinfeinde gelenkt werden. Zum anderen sollen die Menschen bei der Dauerberieselung mit WM-Nachrichten nicht mehr nach den wirklichen Kriegen fragen, die bereits stattfinden (Irak), oder die neuen Kriege, die die US-Regierung bereits plant (Iran). Auch den Krieg gegen die Natur (etwa durch die Einführung der Gentechnik in der Landwirtschaft), sollen die Leute „vergessen“.

Wie bei allen militärischen Kriegen muss auch der Fußball als die „wichtigste Nebensache der Welt“ durch Propaganda legitimiert und verharmlost werden. Helke Sander kritisiert in ihrem Beitrag nicht nur die Einseitigkeit und Männerzentriertheit dieser Fußballpropaganda durch die Medien, sondern auch die monopolistische Besetzung der Köpfe und des öffentlichen Raumes durch EIN einziges, allgegenwärtiges Thema: Fußball.

Zur Legitimierung des Fußballkrieges gehört vor allem die Behauptung, Fußball hätte eine friedensfördernde Wirkung, indem er die Gewaltpotentiale einer Industriegesellschaft in zivilisierte Bahnen lenke. So schreibt der Philosoph Klaus Theweleit, Fußball führe zu einer „Gewaltabfuhr“, vor allem bei Männern, und zwar bei Spielern wie bei Zuschauern. Fußball zivilisiere die „kriegerischen Potenziale der Gesellschaft“... „mit Hilfe von Zivilisierungsformeln wie ‚Die anderen können auch Fußball spielen’ wird das Kriegspotenzial in Spielern und Zuschauern heruntergefahren.“ (2)

Leider stimmt diese positive Einschätzung des Fußballs keineswegs mit der Realität überein. Im TEIL I dieses Infobriefes berichten wir über die realen Begleiterscheinungen der WM. Viele Menschen haben jetzt schon Angst vor den Gewaltorgien der Fußballfans nach den Spielen. Besonders Menschen mit dunkler Hautfarbe wagen sich dann kaum noch auf die Straße. Selbst in den Stadien nehmen in letzter Zeit rassistische Beschimpfungen gegen dunkelhäutige Spieler zu. (Holger Elias).

Zu dem Kriegscharakter der WM gehört vor allem auch die große Nachfrage nach Prostituierten. Anneliese Fikentscher stellt diesen kriegerischen Hintergrund von Sport und Fußball deutlich in den Zusammenhang des neoliberalen Marktes. Wie vor und nach allen Kriegen haben die „Krieger“ eine erhöhtes Bedürfnis nach „sexuellen Dienstleistungen“. Und Mega-Events wie die WM schaffen eine riesige Nachfrage nach Prostituierten. Der Kölner Express berichtete vor einiger Zeit, dass in den Fußballvereinen zur Zeit Diskussionen darüber geführt werden, ob Sex vor, während oder nach den Spielen am besten sei, um den Sieg zu fördern. Einige waren der Meinung, Sex sei das beste Doping-Mittel. Die Spieler selbst erwarten die Bereitstellung sexueller Dienste genau so selbstverständlich zur WM wie die Bereitstellung von Essen und Getränken. Sie machen sich in Deutschland, wie es scheint, keine Gedanken darüber, warum, wie und für welchen Preis ein großer Teil der Frauen nach Köln kommt, die ihnen sexuell zur Verfügung stehen werden.

Es ist bekannt, dass solche Riesenveranstaltungen wie die Fußball-WM zu einem wahren Boom des Frauenhandels führen. Wie der schwedische Ombudsmann für Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern, Claes Borgström betont, ist Frauenhandel Sklaverei und als solche verboten. Bei der riesigen Nachfrage nach Prostituierten während der WM ist Frauenhandel jedoch unvermeidbar. Darum fordert Borgström einen Boykott der WM durch die schwedischen Fußballer. Weitere Beiträge des Infobriefs beschreiben, wie dieser Handel organisiert ist, warum die Frauen ihre Heimat verlassen, um als Prostituierte zu arbeiten, welche Methoden die Frauenhändler, die Zuhälter und die Bordelle anwenden, wie viel Zwang und Gewalt und vor allem wie viel Umsatz bei dieser Industrie im Spiel ist. (Coalition Against Trafficking of Women, Maria Mies, Holger Elias, FIZ-Zürich)

Der Profit der Sexindustrie ist wahrscheinlich sogar größer als derjenige der Fußballindustrie. Beide Industrien gehören jedoch im neoliberalen globalen Kapitalismus zu den Global Players. Die WM wäre kein großes Geschäft, wenn sie nicht durch ein noch größeres Geschäft durch die Sexindustrie begleitet und unterstützt würde. Die lahmende deutsche Wirtschaft erhofft sich von solchen Großereignissen wie der WM neue Wachstumsimpulse.

Das große Gewinnpotential der Sexindustrie ist wohl auch der Grund, warum Deutschland, wie Paula Keller schreibt, die Prostitution legalisiert und zu „einem Beruf wie jedem anderen“ gemacht hat. Dies erleichtert Frauenhändlern ihr Spiel enorm. Aufrufe, den Frauenhandel im Rahmen der WM zu ächten, scheitern an den wirtschaftlichen Interessen, die hinter dieser Industrie wie hinter dem Fußball stehen. Die illegale Wirtschaft ist ja aufs engste mit der legalen verwoben.

TEIL II dieses Infobriefes befasst sich mit dem Widerstand gegen die wirklichen Kriege, von denen die Fußball WM ablenken soll. Wir veröffentlichen den Aufruf gegen den Krieg gegen den Iran, den die Friedenskooperative in Bonn verbreitet hat. Dieser Krieg ist als Atomkrieg geplant, wie Seymour Hersh am 17.04.06 im New Yorker Magazine berichtet. (http://www.newyorker.com/fact/contentarticles/060417fa_fact). Auf diese Information beziehen sich auch die amerikanischen Frauen von Code Pink. Am 21. April schrieb auch die Frankfurter Rundschau: „US-Präsident George W. Bush hatte kürzlich auch einen Atomschlag (gegen den Iran) nicht ausgeschlossen.“ Dieser Krieg sei notwendig, um die iranischen Nuklearanlagen zu zerstören, wo jederzeit eine Atombombe gebaut werden könne, so die Begründung. Wir meinen aber: Der Krieg gegen den Iran hat in den Köpfen schon längst begonnen. Und diesmal soll auch Europa mitmachen. Tatsächlich hören wir kaum etwas von offiziellem politischen Widerstand gegen diesen Krieg. Die öffentlichen Medien beschränken sich auf die Verurteilung des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad wegen seiner Äußerungen zu Israel und zum Holocaust.

Doch der Widerstand der Menschen an der Basis gegen diese Kriegstreiberei ist lebendig. “Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit“, sagte der US-Politiker Hiram Johnson bereits 1918 vor dem Senat. Anneliese Fikentscher und Andreas Neuman von der Arbeiterfotografie klären uns darüber auf, wie bei den Übersetzungen der Äußerungen Ahmadinedschads Verfälschungen und Zuspitzungen bewusst dazu benutzt werden, um es den Kriegstreibern im Westen leicht zu machen, nun den iranischen Präsidenten als neuen Hitler zu inszenieren, so wie sie es bereits mit Slobodan Milosevic und Saddam Hussein gemacht hatten.

Der israelische Friedensblock Gush Shalom veröffentlichte seinen dringenden „Aufruf an Europa“, in dem er die europäischen Regierungen auffordert, einen Dialog mit der demokratisch gewählten Hamas-Regierung Palästinas zu beginnen und die Hilfszahlungen für das palästinensische Volk wieder aufzunehmen.

Widerstand an der Basis regt sich auch überall im Lande gegen den Krieg gegen die Natur, insbesondere gegen die Einführung der Gentechnik in die Landwirtschaft, die von mehr als 80 % der Menschen abgelehnt wird, von der WTO und der EU-Kommission aber vorangetrieben und nun auch von der deutschen Regierung akzeptiert wird. Besonders an dieser Stelle zeigt sich wieder, dass unsere Regierungen eher die Interessen der transnationalen Konzerne vertreten als die der Mehrzahl der Bevölkerung und der Natur.

Köln, April 2006
Maria Mies
Alex Harstall
Anneliese Fikentscher
Paula Keller
Regina Schwarz

Fußnoten

1) Maria Mies (2004) Krieg ohne Grenzen, Die neue Kolonisierung der Welt, PapyRossa Verlag, Köln

2) Klaus Theweleit: „Sieg und Frieden“ in: FREITAG Nr.13, 31. März 2006