Infobrief Ausgabe 22 (Mai 2006)

Sport, Krieg und Fussballspiele
von Anneliese Fikentscher

Wir alle freuen uns schon auf ein wahrhaft globales Ereignis: „Die Welt zu Gast bei Freundinnen“ prangt es auf einem 15 Meter hohen Werbebanner den Kunden entgegen, die in den noch relativ ruhigen Zeiten der Vorfreude ohne Hektik und gesteigerte Preise ihre Bedürfnisse im Kölner Eroscenter ‘Pascha’ verrichten - oder genüßlicher ausgedrückt - befriedigen. Etwas abseits im Norden und Süden der Stadt befindet sich der kontrollierte, von (katholischen) Streetworkerinnen betreute Straßen- und Drogenstrich. Die Zahl der Morde und Gewaltübergriffe gegen Frauen und Mädchen hat seit dem Bau von Sicherheitsanlagen (2001) - den sogenannten Verrichtungsboxen - abgenommen. Und genau deshalb - auch wenn eine Schwemme der eher unfreiwilligen sexuellen Dienstleistung über den Austragungsort des MEGA-Events Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland sich ergießen wird - wird es keine weiteren Verrichtungsboxen von öffentlicher Hand finanziert und auf öffentlichem Boden geben. Bundesregierung und Sportveranstalter beschränken sich auf warmherzige Aufrufe, ‘Zwangsprostitution’ zu meiden.

„Hier geht es vor allem um den Sport als eine andere Form von Krieg,“ erklärt die Wiener Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek in einem Interview des ORF in der Ö1 Hörfunksendung ‘transparent’, in dem es um „Ein Sportstück“ 1) geht, daß vom Phänomen Sport und seinen weitläufigen gesellschaftlichen Verknüpfungen handelt. Das dramatische Bühnenwerk der Jelinek stellt den Sport als Massenphänomen dar, als „Metapher für Dinge, unter denen sich Gewalt hereinschleicht. Sport unter dem Blickwinkel als das „einzig sanktionierte Auftreten von Gewalt. „Unsere Körper sind und bleiben Panzer, die nach dem Duschen Frauen bedrängen.“, philosophiert darin der Sportfunktionär Hektor. Seine Sportbekleidung ist so verräterisch wie Dürrenmatts gelbe Schuhe: teure Marke, produziert von Frauen und Kindern für einen Hungerlohn unter Sklavenbedingungen in asiatischen und anderen Textilhöllen dieser Welt, in denen die Luft zum Atmen fehlt, das Trinken während der Arbeit in 50 Grad heißen Räumen untersagt ist, damit das zur-Toilette-gehen entfällt. „Heute ist Clubabend, geschlossene Gesellschaft, als Beilage lauter Leute, die ... gut noch etwas aufnehmen könnten, ... eine herrenlose geröstete Leber... Die Menschen, die sich uns anbieten, sind bereits entkorkt worden. Sie glauben, sie können uns die ganze gute Luft wegatmen, die wir für uns selbst reserviert hatten.“ Im ‘Sportstück’ treten Feindmengen einander gegenüber, als Soldaten in Sportuniform der Ausstatter-Konzerne gekleidet. Die Anführer empfangen Sportnachrichten über einen ‘Ohrwurm’, ständig aktualisiert, und - als wären sie von irgendeiner Bedeutung - werden diese ‘Nachrichten’ ohne Nachrichtenwert in die Zuschauermenge gepeitscht. Wie im richtigen Leben. Hier geht es schließlich nicht um irgendeine sondern um die Fußballweltmeisterschaft der Herren und um die Herren der Fußballweltmeisterschaft! An dieser Stelle könnten jetzt - wie in den wichtigen Medien - lauter un-wichtige Namen genannt werden...

„Die Welt zu Gast in Deutschland!“ Nur ist die Stimmung grad nicht so gut im Land.

Der Axel Springer Verlag, Bauer, Burda, Holtzbrinck, Gruner und Jahr, die Heise Mediengruppe, die FAZ, die Süddeutsche Zeitung, der Spiegel sowie die Fernsehsender RTL, PRO7, Sat1, Premiere, ZDF und die ARD gehören 2005 zu den Betreibern einer von der Bertelsmann AG koordinierten Kampagne unter dem Motto "Du bist Deutschland". „Ein Ziel der Kampagne ist es, eine Debatte auszulösen über das Verhältnis der Deutschen zu ihrem Land.“ lautet die Auskunft der Werbeagentur ‘fischerAppelt Kommunikation’, mit Sitz in Berlin, die diese durch den Medienkonzern Bertelsman initiierte Kampagne umsetzt. Bemerkenswert ist, dass Bertelsmann, d.h. die Bertelsmann-Stiftung, auch Gedankenschmiede ist für genau die großen Sozialraubprogramme wie Agenda 2010 und Hartz IV. Zudem weiß der nahe stehende Medienkonzern wie Meinungen zu produzieren und zu verbreiten sind. ‘Du bist Deutschland?’ und jeder ist seines (eigenen) Glückes Schmied. Erwarte bloß nichts von der - im neoliberalen Umbau befindlichen - Gesellschaft. Entsolidarisiere. Inländer gegen Ausländer, Rentner gegen Studenten, Mittelstand gegen Schmarotzer... Eine spezielle Form der Mannschaftsaufstellung. Teile und herrsche! Eine bewährte Kriegsstrategie. Fragwürdige Vorbilder werden bemüht:

Spitzensportler, die Deutschland den Rücken kehren, wenn es darum geht, ihre Einkünfte zugunsten des Gemeinwohles zu versteuern, Industriegiganten, die unverhohlen militärische Überfälle planten (August Thyssen, 1914: „Unsere Armee ist geradezu großartig. Sie stellt alles in den Schatten... Werden wir den Krieg so glorreich durchführen, wie wir ihn begonnen haben, dann werden wir Frankreich und Rußland niederwerfen...“), Der Automobilhersteller Ferdinand Porsche (1875-1951) gehört 1943 zu denjenigen, die von Hitler persönlich mit dem Ritterkreuz zum Kriegsverdienstkreuz und anderen hohen Orden ausgezeichnet werden, wird von Albert Speer, Reichsminister für Bewaffnung und Munition, in diesem Zusammenhang als einer der führenden Köpfe geehrt, ‘die aus den besten Werken der Industrie heraus... in reibungsloser Zusammenarbeit mit den Wehrmachtsstellen ein riesiges Aufbauwerk vollendet haben’. Unter den ehrenwerten Vorbildern ist auch der Unternehmer Adi Dassler, Gründer der Sportartikel und -bekleidungsfirma Adidas, die Arbeitsplätze in Deutschland vernichtet, um unter menschenverachtenden Bedingungen, bei denen die

Arbeiterinnen von Überwachungskameras bis aufs Klo verfolgt werden, den größtmöglichen Profit einzufahren. Die heutige Weltfirma lässt so billig produzieren, dass die Lohnkosten weniger als ein Prozent vom Ladenpreis ihrer Markenartikel ausmachen. Sportler wie Kahn sponsert sie als Werbeträger mit Millionen. 2) Adidas ist neben der T.Com ein Hauptsponsor der Herrenfußballweltmeisterschaft. Irgendwo muß der Segen doch herkommen.

„das geschlagene und getretene Bündel wird blutig, führt aber - so lange man es läßt normale Tätigkeiten aus, versucht auch fernzusehen, etc.“ Jelinek (Regieanweisung)

Ein ‘Spielball’ im ‘Sportstück’ ist der Mensch. Ein hilfloser, der wie ein Bündel Lumpen mit Füßen getreten wird. Das Bündel Lumpen unternimmt alle Anstrengungen, dazuzugehören. Es ist einer der Adressaten dieser Herrenweltmeisterschaft, denen ARD, ZDF und Bertelsmann/RTL (s.o.) seine Wunden zukleistern will. Hier und in anderen grölenden und geifernden Medien - auf ihren Sport- und ‘Vollerotik’kanälen auf germanistischem 0190er Niveau - ist niemals die Rede von der „Gefährdung des inneren Friedens“ in Deutschland, oder von ‘verheerenden Reformen’, wie der Aachener Friedenspreis die soziale Entwicklung in diesem Land sich zuspitzen sieht. „Der Staat wird aufgegeben, die Gesellschaft wird umgebaut.“ 3) Deutschland führt einen ‘Krieg nach innen’, der Arbeitssuchende in Verhältnisse zwingt, für 1Euro und weniger die Stunde zu arbeiten; zum Vergleich: ‘adidas’ zahlt ‘sogar’ einen Stundenlohn von 70 Cent. Der Anthroposoph Goetz Werner (Chef der dm-Drogeriemarktkette) bezeichnet in einem Stern-Interview 4) Hartz IV als ‘Menschenquälerei’ und ‘offenen Strafvollzug’. Befindet sich Deutschland auf dem Weg zur Verelendung - auf deren Grundlage Prostitution und Menschenhandel auch außerhalb einer Herrenfußballweltmeisterschaft bestens gedeihen? Der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge berichtet von Jugendlichen, die „fühlen sich in dieser Gesellschaft nicht mehr wohl und sehen keine Perspektive, beruflich und sozial Fuß zu fassen. Auf die präkere Arbeitsmarktsituation reagieren die Gewalttäter, indem sie ihren Frust an Schwächeren auslassen und sich selbst zu Herrenmenschen erklären.“ 5) Gar nicht auszudenken, was geschieht, wenn Deutschland Herrenweltmeister wird.

"...manchmal müssen wir Soldaten einsetzen, um unserer Verantwortung für diese eine Welt gerecht zu werden. Doch diese Verantwortung kann Deutschland auf Dauer nur tragen, wenn es ein starkes Land bleibt." Fernseh-Neujahrsansprache 2003/2004 von Bundeskanzler Gerhard Schröder

Die heutigen Massenphänomene sind ohne Medien undenkbar. Daher ist es wichtig, die Funktion dieser Unternehmen und Konzerne insbesondere unter dem Fokus von Kernfragen richtig einzuschätzen. Die indische Schriftstellerin Arundhati Roy formuliert anläßlich des Weltsozialforums in Mumbai, 2004, einen kausalen Zusammenhang: "Es ist wichtig zu verstehen, daß Medienkonzerne nicht lediglich das neoliberale Projekt unterstützen. Sie sind das neoliberale Projekt" Ein schleichender Krieg, der das „Experiment, das wir Demokratie nennen“ aushölt, (US-Generals ‘Tommy’ Franks - Kommandant der US-Truppen in Afghanistan 2001 und Irak 2003) 6) wird von den Medien mit Herrenfußballweltmeisterschaften übertönt. Prof. Jean Grossholtz 7) stellt klar: „Eine wichtige Sache, die alle verstehen sollten - es passiert in den USA und auf der ganzen Welt: Die Regierung selbst wird privatisiert!“

Das in Köln ansässige ‘Komitee für Grundrechte und Demokratie’ kommt zu dem Schluß: „Die Fußball-WM dient dem Ausbau von Überwachung und Ausgrenzung.“ Eine Datenerfassung in bisher nicht gekanntem Umfang und Erhebungsmodus ist seit Februar 2005 im Gange: über den persönlich zugeordneten Kauf von Eintrittskarten und zwingender Angabe der Personalausweisnummmer, eines erstmals auf RFID gechipten Kennungscodes (radio frequency identification), gerät das Sportspektakel mit Auftakt in der Allianz-Arena in München, und weiteren Herrenspielen in der Commerzbank- und AOL-Arena (Frankfurt, Hamburg) zu einer Weltmeisterschaft im Datensammeln. Bei genauerer Betrachtung aller so genannten ‘Sicherheitsvorkehrungen’ und der bereitstehenden 7000 Bundeswehrsoldaten bietet sich das Szenario einer groß angelegten Bürgerkriegs-Übung. Wer weiß schon, was alles noch passieren könnte? General 'Tommy' Franks: "...ein terroristischer Zwischenfall mit Massen von Opfern irgendwo in der westlichen Welt - vielleicht in den USA - veranlaßt unsere Bevölkerung, unsere eigene Verfassung in Frage zu stellen und zu beginnen, unser Land zu militarisieren..." 8)

Fußnoten

1) Elfriede Jelinek, Ein Sportstück, Hamburg 1998

2) aus der Erklärung 'Markenware und Menschenwürde' des Sportkongresse 'Fit for Fair', Köln 2002

3) www.aachener-friedenspreis.de, Plattform der „Aktion sozialer Aufbruch" Aachener Friedenspreis, DGB Region NRW-Südwest und Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB), Bezirk Aachen-Stadt/Eifel u.a. Mitunterzeichner

4) Stern Ausgabe 17/2006

5) Kölner Stadtanzeiger, 20.4. über die Gefährdung durch Rechtsextremismus

6) in einem Interview im Magazin Cigar Aficionado, Ausgabe Dezember 2003, S. 75ff

7) Die US-amerikanische Prof. Dr. Jean Grossholtz, emeritierte Leiterin der Abteilung `Women´s Studies´ am US-amerikanischen Mt. Holyoke-College und Mitglied von lokalen, regionalen und internationalen Netzwerken für eine andere Globalisierung

8) a.a.O.